Warum ich Trauerrednerin bin
Mein Schicksalsjahr war 2013. Mein Vater starb und ein paar Wochen später verstarb auch meine Oma. Beide waren meine Menschen. Diejenigen, die mich bedingungslos geliebt hatten.
Das war ein unglaublicher Schlag für mich. Für unsere Familie.
Diese Endlichkeit. Unverrückbar.
Ich kannte mich auch überhaupt nicht aus. Weder kannte ich mich mit der Bürokratie aus… Noch kannte ich mich mit dem Gefühl von Trauer aus.
In den nächsten Jahren stellte sich heraus, dass Trauer gar kein Gefühl ist, sondern ein Prozess.
Alles was ich wusste, war, dass ich für meinen Vater die schönste Verabschiedung wollte. Ein letztes Mal sollte sein Name durch die Gassen meiner Heimatstadt wandeln.
Ein letztes Mal, das alle, wirklich alle, die mein Vater kannte und mochte (und vielleicht auch nicht mochte), zusammenkommen. Ich wünschte mir so sehr, dass alle noch einmal sehen und sich erinnern können, was für ein toller und wunderbarer Mensch er war.
Und wie schlimm die Welt dasteht, ohne ihn. Meinen Papa.
Und ich wollte, dass der Tod sieht, was er da angerichtet hat.
Am Tag der Verabschiedung und Beisetzung war es bitterkalt. Auf den Stühlen in der kleinen Kapelle habe ich kleine Sträuße aus Maiglöckchen gelegt.
Ich habe drei Musikstücke ausgewählt. In der Hoffnung, dass sie auch meinem Vater gefallen würden. Wir haben nie über Beerdigung gesprochen, noch darüber was oder wie er sich seine eigene Beerdigung vorstellt. Leider.
Die Verantwortung war schon groß.
Die Trauerrednerin wurde uns vom Bestatter empfohlen. In unserer Überforderung haben wir zugesagt.
Das war nicht gut.
Schon beim Trauergespräch habe ich die Stirn gerunzelt. Sie passte nicht zu uns. Nicht zu mir. Nicht zu meinem Vater. Nicht zu unserer Familiengeschichte.
Die Chemie muss passen!
Ich hätte auf mein Gefühl hören sollen. Eine andere Trauerrednerin suchen. Eine, die zu uns passt. Bei der wir Vertrauen haben und die zwischen den Erzählungen und Anekdoten über meinen Vater, ihn auch erahnen kann, wie er war.
Wer er für uns war!
Wir hätten jemanden gebraucht, mit echtem Interesse am Leben meines Vaters. Der es ein Bedürfnis ist, dieses letzte Mal für ihn auf die Pauke zu hauen.
Die Rede war ausgesprochen flach. Das war nicht mein Papa.
Das war von den Eckpunkten her das Leben meines Vaters, ja. Die Jahreszahlen stimmten. Aber das war nicht: ER.
Die Kapelle war so voll. Draußen standen auch so viele Menschen.
So viele Menschen mit so vielen Geschichten, die sie von meinem Papa hätten erzählen können.
Geschichten über ihre gemeinsamen Begegnungen.
Wie oft er uns immer zum Lachen brachte. Ich liebte es, wenn sein Herz voller Glück war - nur weil wir Töchter bei ihm waren.
Wochen später habe ich dann das erste Mal gedacht:
„Nein! Das kannst du besser! Das darf nicht sein, dass die letzten Worte auf einen Menschen so flach und unbedeutend vorüber schwappen!“
“Das muss besser gehen! Das ist zu wichtig!”
Du kannst den Tod nicht ändern, aber die Verabschiedung, die kannst du gestalten. Für den Verstorbenen, aber auch für die Angehörigen.
Die Verabschiedung ist im Prozess der Trauer enorm wichtig.
Das Loslassen beginnt. Auch die ersten Schritte in diesem neuen Leben ohne meinen Vater habe ich am Tag der Verabschiedung ganz bewusst machen müssen.
Es sollte noch ein paar Jahre und ein paar Erfahrungen dauern, bis ich mich endgültig entschied, Trauerrednerin zu werden.
Und ich bin so glücklich mit dieser Entscheidung und auch mit meiner Ausbildung.
Und jedes Mal, wenn ich nach einer Verabschiedung noch ein Stück über die Friedhöfe spaziere, denke ich an meinen Papa.
Und jedes Mal war die gehaltene Rede auch ein bisschen für ihn und ein bisschen für mich…