Lieber Papa!
Heute ist dein Todestag.
12 Jahre.
Gefühlt, bist du gestern gegangen. Gefühlt, habe ich dich eine Ewigkeit nicht gesehen.
Es gibt Tage, da möchte ich mich verkriechen. Die Decke über meinen Kopf ziehen und darauf hoffen, dass du es bist, der mir die Decke wieder vom Kopf zieht.
Mich anlächelt und mir sagt, dass alles wieder gut ist. Du wieder da bist.
Du bist es nicht. Es sind deine Enkel, die grinsend vor mir auftauchen.
Du bist Opa von Zwillingen. Ein Junge und ein Mädchen. Ich möchte daran glauben, dass du es weißt. Das du ab und an bei uns bist.
Verheiratet. Tatsächlich mit Berni. Stimmt, dem konntest du ja auch nicht mehr die Hand geben.
12 Jahre. Heute ist es wieder schlimm und du fehlst mir so unendlich.
Du. Als Papa. Als Mensch.
Ich habe deine Stimme nicht mehr im Ohr. Ich weiß nicht mehr, seit wann genau ich sie mir nicht mehr in Erinnerung rufen kann. Sie ist schon vor einer Weile verweht.
Ich bedaure, dass ich keine Aufnahme von dir habe.
Es würde mir das Herz brechen, wenn ich dich hören würde. Und ich würde sie mir trotzdem hundertfach anhören.
12 Jahre. Heute. Die Welt drehte sich tatsächlich weiter. Irgendwann auch meine. Sie musste. Ich konnte sie nicht länger festhalten. Und mit jedem Tag gingen unsere Wege weiter auseinander. Ich drehe mich noch manches Mal um. Suche dich auf dem Weg, der hinter mir liegt.
Manchmal sehe ich dich in der Fußgängerzone. Dann bleibt kurz mein Herz stehen. Ich trau mich nicht zu atmen. Ich weiß, dass du es nicht bist. Und dennoch erinnert mich der Mensch an dich. Die Haare? Das Schlendern mit den Armen, beim Gehen?
Vor 10 Jahren wäre ich ein Stück hinterher gegangen. Ein wenig im Windschatten der Erinnerung an dich. Ein wenig so tun als wärest es du, der da vor mir geht. Ein wenig die Hoffnung leben, dass ich nur rufen müsste und du drehst dich um.
Ich war nicht darauf vorbereitet, ohne dich durch die Welt zu ziehen. Ich hatte keine Ahnung, wie schlimm es ist. Seit du nicht mehr da bist, war da niemand mehr, der mich so geliebt hat. Ohne Ansprüche. Ohne Forderung. Der mich toll findet, so wie ich bin. Der so überzeugt ist von mir. Der sich über meine direkte, sarkastische Art der Welt in die Augen zu schauen, köstlich amüsieren konnte.
Klar, ich werde geliebt. Auch Bedingungslos. Aber nicht die Liebe eines Vaters.
Seit 12 Jahren hat mir niemand über die Wange gestreichelt, wie nur du es konntest. Seit 12 Jahren hat mich keiner „Hasenkind“ genannt. Ich liebte es, wenn du das getan hast.
Wenn ich sauer war, hast du mit mir zusammen geschimpft. Wen ich nicht mochte, den mochtest du auch nicht. Du warst mein Gefährte - in jeder Schlacht.
Wir waren ein Team. Sind es heute noch. Ich schlage die Schlachten allein, mit deiner Kraft in mir.
„Vaterloses Ding“. So würdest du mich jetzt nennen. Ich vermisse deinen Humor. Dich, der mir sagte, ich solle doch ein wenig freundlicher sein, dann würde das schon klappen mit dem Heiraten. Der mir den weisen Wink gab, dass Frauen mit 40 eher vom Blitz getroffen werden, als dann noch zu heiraten. Ich hätte dich eines Besseren belehrt, mein Lieber.
Du würdest mit Jakob zu Fußballspielen gehen. Bockwurst essen und so lange den 1. FC Magdeburg anfeuern bis eure Stimmen versagen. Jakob würde mit dir zum LASK gehen. Und du würdest ihn bei seinen eigenen Spielen bejubeln. Du würdest Aenne in die Lüfte schmeißen. Du würdest mich in ihr erkennen und mir erzählen, wie ähnlich sie mir ist. Mama macht das manchmal, aber Mama kann dich nicht ersetzen. Auch wenn sie es manchmal versucht.
Du fehlst auch den Kindern. Obwohl sie nie in deinen Armen lagen. Ich erzähle ihnen von dir. Ich erzähle von den Momenten, wenn ich mich in deinen Armen vor der Welt versteckt habe. Nun verstecken sie sich manchmal in meinen Armen. Ich bin Mutter, stell dir das mal vor.
Du fehlst! Du fehlst. Und da liegt alles drin. Meine Liebe zu dir. Meine Dankbarkeit, dass du mein Papa warst. Das du mein verstorbener Papa bist.
12 Jahre. Heute. Ich liebe dich, Papa. Und heute weine ich um uns…